Digitalisierung als Chance für die globale Wettbewerbsfähigkeit

Victoria Riess über Digitalisierung als Chance für die globale Wettbewerbsfähigkeit im Fachmagazin changement! von Handelsblatt

victoria-riess-digitization-telco-changement

Angesichts des globalen Wandels von Kundenerwartungen, der Unterbrechung der Wertschöpfungskette bezüglich der Konnektivität sowie neuer Konkurrenten und rückläufiger Umsatzerlöse müssen Telekommunikationsunternehmen heute handeln, um ihren Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Vor allem gilt es, Digitalisierung neu zu denken und erfolgreich digitale Innovationen zu entwickeln.

Im Folgenden bewerte ich den Stand der Digitalisierung bzw. der digitalen Transformation von Telekommunikationsunternehmen (Telkounternehmen) anhand eines an ihren Kontext und Herausforderungen angepassten digitalen Reifegradmodells. Dafür habe ich das Digital Maturity Model von Deloitte angepasst (siehe Abbildung 1), um die entscheidenden Geschäftsbereiche abzudecken, die sich auf die digitale Transformation auswirken, nämlich das Geschäftsökosystem und der Bereich Innovation. Ich werde den Reifegrad anhand der fünf wichtigsten Dimensionen analysieren: Strategie, Kunde, Kultur, operatives Geschäft und Technologie.

01_Reifegradbewertung-Digitalisierung-Telkounternehmen-Victoria-Riess-Handelsblatt
Abbildung 1: Bewertung der Digitalisierung von Telkounternehmen anhand des angepassten digitalen Reifegradmodells (Quelle: Deloitte, „Digital Maturity Model“, 2018)

Empfehlungen zur digitalen Transformation

Insgesamt machen Telkounternehmen auf dem Weg der Digitalisierung Fortschritte, weisen aber in den fünf Dimensionen Kunde, Strategie, Technologie, operatives Geschäft sowie Organisation und Kultur noch Lücken hinsichtlich des digitalen Reifegrads auf (siehe Abbildung 2). Um die digitale Transformation neu zu denken, sollten sie ein Daten- und Talentökosystem, eine agile Organisation und kulturelles Veränderungsmanagement sowie eine KI-gestützte Optimierung von Netz- und Kundenprozessen aufbauen. Die Empfehlungen für die einzelnen Komponenten des digitalen Reifegradmodells sind im Folgenden zusammengefasst.

Die Unternehmen weisen Lücken hinsichtlich des digitalen Reifegrads auf.

02_Fortschritte-Digitalisierung-Telkounternehmen-Victoria-Riess-Handelsblatt
Abbildung 2: Bewertung der Fortschritte von Telkounternehmen auf dem Weg der digitalen Transformation – mit Defiziten in Digitalstrategie, Kultur und operativem Geschäft (eigene Darstellung)

Kunde

Bei der Kundenansprache wurden drei Hauptdefizite identifiziert. Der Übergang zur Nutzung digitaler Werkzeuge, um Kunden zu erreichen, ist noch nicht abgeschlossen. Ebenso konzentrieren sich das derzeitige Partnernetz und der Kundenstamm auf Endkunden aus dem Telekommunikationsbereich und nicht so sehr auf andere digitale Geschäftsbereiche. Zur Überwindung der Lücken im Bereich der Kundenbindung empfehle ich drei Lösungen:

  • Ausweitung digitaler Werkzeuge für die Kundenbindung,
  • Schaffung von offenen Innovationsräumen für die gemeinsame Entwicklung neuer Produktideen mit den Kunden,
  • Ausweitung des Business-to-Business-Geschäfts durch Partnerschaften und mehr ökosystembasierte Lösungen.

Strategie

Hinsichtlich des Reifegrads von Telkounternehmen bei der Umsetzung einer Digitalstrategie sind drei Lücken in Bezug auf Ökosysteme, Stakeholder und strategisches Management festzustellen. Zur Überwindung der Defizite im strategischen Management empfehle ich drei Lösungen:

  • Weiterentwicklung des Datenökosystems und Aufbau eines Talentökosystems,
  • weitere Umwandlung von Telkounternehmen in agile Organisationen sowie
  • Befähigung zum Management des kulturellen Wandels.

Organisation und Kultur

Telkounternehmen verfügen derzeit über eine lobenswerte digitale Struktur, jedoch sollte die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Unternehmensfunktionen verbessert werden, da die meisten Teams in Silos arbeiten. Daher empfehle ich eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit in Form von digitalen Projekten, eine datengestützte Entscheidungsfindung und technologiebezogene KPIs im Vorstand, dezentralisierte Innovationslabore und digitale Ökosysteme. Zudem sind höhere Qualifikationen bzw. Umschulungen von Teilen der derzeitigen Mitarbeitenden und die Gewinnung neuer Talente notwendig.

Technologie

Telkounternehmen verfügen über großartige Technologien und Anwendungen. Die Unternehmen arbeiten mit vielen Kunden zusammen, um ihre Technologien einzusetzen und Produkte für jeden Kunden zu entwickeln. Was die Datenanalyse betrifft, so erfordert der Einsatz von KI ein hohes Maß an Datenanalysefähigkeiten. Das Netzwerk ist die größte Stärke von Telkounternehmen, die unter anderem mit Universitäten zusammenarbeiten. Um das Wissen und die Technologie innerhalb der Unternehmen mit Außenstehenden zu teilen, könnte ein KI-Zentrum für offene Innovationen eine Lösung sein. Außerdem könnten die Unternehmen mithilfe ihrer KI-Technologien einen Beratungsservice für Datenanalyse anbieten.

Operatives Geschäft

Telkounternehmen haben schrittweise KI, robotergestützte Prozessautomatisierung (RPA) und fortgeschrittene Analytik in ihren Betriebsprozessen implementiert. Der Wert der Datenerfassung kann jedoch erst dann voll ausgeschöpft werden, wenn die Datenerfassung zu prädiktiven Analysen in Echtzeit führt.

Daher mache ich vier zentrale Empfehlungen für die betriebliche Effizienz:

  • Einsatz von prädiktiver Analytik und selbstoptimierenden Netzwerken für die vorausschauende Wartung,
  • Einsatz von Low-Code-Tools bzw. Plattformen und DevOps (Methoden und Kultur zur Zusammenarbeit zwischen Softwareentwicklung und IT-Betrieb) für die Netzsimulation,
  • KI-Chatbots für persönliche Kundeninteraktionen und
  • RPA zur Rationalisierung und Automatisierung komplexer Prozesse.

Ökosystem

Was die auf Ökosystemen basierenden Geschäftsmöglichkeiten betrifft, so haben Telkounternehmen bereits einschlägige Arbeit in Initiativen mit Unternehmen aus Branchen wie Transport, Einzelhandel, Versorgungsunternehmen und Logistik geleistet. Daher liegt der Fokus meiner Empfehlungen auf Smart-Cities-Initiativen.

Erstens sollten Telkounternehmen die Smart-Cities-Lösungen wie intelligente Beleuchtung, intelligentes Parken und verbesserte Transportlösungen, die bereits als Business Cases validiert wurden, ausbauen.

Zweitens sollten sie strategische Partnerschaften mit privaten und öffentlichen Einrichtungen weiterentwickeln. Bezüglich der digitalen Infrastruktur könnten Telkounternehmen eine größere Rolle in nationalen Programmen spielen, bei denen zum Beispiel der Betrieb von sogenannten digitalen Zwillingen im Fokus steht.

Ein digitaler Zwilling ist eine dynamische virtuelle Kopie eines physischen Assets, eines Prozesses, eines Systems oder einer Umgebung, die genauso aussieht und sich genauso verhält wie ihr reales Gegenstück.

Sieben Programme zur digitalen Transformation

Diese praktisch umsetzbaren Erkenntnisse sollten Führungskräfte nutzen, um einen Gewinn für alle Beteiligten im Telkoökosystem zu schaffen.

Die Telkounternehmen befinden sich in einer hervorragenden Position, um die Digitalisierung effektiv voranzutreiben. Auf der Grundlage der identifizierten Lücken empfehle ich, die Defizite im strategischen Management in den Bereichen agile Organisation und Wandel sowie Daten- und Talentmanagement zu identifizieren und operative Strategien zu implementieren, um diese Lücken zu schließen.

03_7-Programme-zur-Digitalisierung-Telkounternehmen-Victoria-Riess-Handelsblatt
Abbildung 3: Empfehlung von sieben Programmen zur digitalen Transformation von Telkounternehmen, um die digitale Disruption zu bewältigen (eigene Darstellung)

Abbildung 3 zeigt sieben Programme unterteilt in drei Stufen – jeweils mit einem anderen Fokus. Telkounternehmen sollten außerdem ihre aktuellen, neu entstehenden Technologielösungen, wie zum Beispiel ihre Smart-Cities-Lösungen, ausbauen und strategische Partnerschaften auf funktionsübergreifender und externer Ebene entwickeln, um den für die digitale Transformation erforderlichen Wandel voranzutreiben.

Die Unternehmen sollten strategische Partnerschaften auf funktionsübergreifender und externer Ebene entwickeln.

Victoria Riess

ist Senior Strategy Leader, Geschäftsführerin, Gründerin und Board Advisor in der Technologiebranche. Sie begleitet Unternehmen in Fragen der digitalen Transformation und Disruption. Victoria Riess wurde mehrfach als „Top Women Leader in Tech“ ausgezeichnet. Sie hat einen MBA-Studiengang in Cambridge absolviert (www.victoriariess.de).

Scroll to Top